Ein Porträt von Luise Unser, DMT Absolventin und Kochbuchautorin
Offiziell war Luises Eintrittskarte in die Kochwelt ihr Kochbuch „Wilde Wurzeln“. Sie selbst sagt: „Das Buch wurde nicht gedruckt, um Geld zu verdienen, sondern weil ich es toll finde. Weil ich will, dass Leute wieder zum saisonalen Kochen finden – und weil ich in die Kochwelt rein möchte.“
Das wilde Abschlussprojekt
„Wilde Wurzeln“ entstand zunächst als Hirngespinst, ein Gedanke, mit dem sie im Sommerurlaub am Strand gespielt habe. Durch Foodsharing, sagt Luise, habe sie gelernt, aus dem gerade Verfügbaren zu kochen, mehr zu experimentieren und Kombinationen auszuprobieren, den Fokus wieder auf das Gemüse zu legen. Das Konzept war für sie von Anfang an klar. „Als für mich feststand, ich mache ein Kochbuch, wusste ich sofort: Ich will ein Kochbuch machen zu saisonaler, regionaler und veganer Küche“, erzählt sie. Ohne ein Team zu haben und ohne es gepitched zu haben, schrieb sie im Urlaub Gemüsesorten und die jeweilige Saison heraus, las sich in das Thema ein und fand ihren Ansatz.
Schon damals habe sie mit dem Gedanken gespielt, das Buch am Ende auch wirklich herauszubringen, meint Luise und schmunzelt. Das Kochbuch war zu der Zeit aber immer noch nur ein Gedanke. An einem Sonntagnachmittag fragte sie ihre Freundin und Kommilitonin Carlotta Rau, ob sie im Zuge des Moduls „Projekt Produkterstellung“ gemeinsam an dem Buch arbeiten wollen. Noch während sie zwischen Lampen und alten CDs über den Boxhagener Flohmarkt schlenderten, sagte Carlotta zu. Sobald das neue Semester begann, holten sich die zwei Druck- und Medientechnik-Studentinnen der BHT ihre Kommilitonin Mujda Raufi ins Boot.
Mit Carlotta und Mujda arbeitet Luise vier Monate fast täglich am Projekt „Wilde Wurzeln“. In der eigenen Küche kochte und verfasste Luise unzählige Rezepte, 36 – drei für jeden Monat – schafften es ins Kochbuch. Während sie jeden Dienstag kochten und fotografierten, wurde fleißig gelayoutet und schließlich gedruckt und per Hand gebunden. So entstand die Hochschulversion von „Wilde Wurzeln“.
Eigene Produktion
Nach dem Uniprojekt verfestigte sich Luises Wunsch: Sie wollte das Buch in Eigenregie herausbringen. Mit Carlotta und Mujda wurde alles vertraglich geregelt und so machte sich Luise einige Monate nach ihrem Bachelorabschluss allein an die zweite Version von „Wilde Wurzeln“. „Es war noch mal richtig viel Arbeit, das hatte ich gar nicht gedacht“, erzählt Luise. „Es kamen auch so viel mehr Zweifel auf, auch bei ganz kleinen Sachen.“ Alle Rezepte wurden noch einmal gekocht, zwei Gerichte wurden ausgetauscht, und diesmal war sie damit komplett allein.
„Einerseits ist es total toll: Alles, was ich ab da gemacht habe, ist auch meiner Kraft entsprungen. Andererseits“, wägt Luise ab, „bin ich allein und muss Entscheidungen mit mir selbst ausmachen. Und um Feedback zu bekommen, muss man aktiv werden.“
Von Professorin König bekam sie dann die nötige Beratung und eine Empfehlung für die Umweltdruck Berlin GmbH. Nach Beratungsgesprächen und Besuchen in der Druckerei kam dann der Moment die fertige Datei abzuschicken. Die Tage vor dem Abschicken waren gefüllt vom Lektorieren. „Als ich dann abgeschickt hatte, hatte ich einfach nur Angst“, lacht Luise, „weil es kein Zurück mehr gab.“
Am Tag des ersten Drucks fand Luise vor Ort in der Druckerei noch einen Formfehler, der zum Glück ausgebessert werden konnte. Und dann konnte sie das Buch in den Händen halten – doch damit fing die Reise erst an.
„Ich will meine Zwanziger, eigentlich mein ganzes Leben, nutzen, um mir Fähigkeiten anzueignen, um alles zu erlernen, was mich interessiert.“
„Eigentlich würde man davon ausgehen, dass man ultra stolz ist, aber das richtige Stolz-Gefühl hatte ich nicht so“, erzählt Luise nachdenklich. „Vielleicht auch, weil ich mir das nicht erlaubt habe.“ Nachdem die 1.000 Bücher gedruckt und bereitstanden, stellte sich die Frage: Was braucht man, um in die Kochwelt zu kommen und wie kommt man am schnellsten dorthin?
wildeliese
@WildeLiesee erschien auf der Bildfläche, noch bevor das offizielle „Wilde Wurzeln“-Kochbuch gedruckt wurde. Auf Reisen tüftelte Luise an dem Konzept für den Instagram-Account.
Die Reihenfolge, in der Luise ihren Social-Media-Account begonnen und das Kochbuch gedruckt hat, ist klassisch. Weniger klassisch ist die Zeit, die dazwischen vergangen ist. Normalerweise folgt auf eine hohe Instagram-Reichweite ein Kochbuch. In Luises Fall gab es noch keine hohe Reichweite, sondern zuerst eine hohe Kochbuch-Auflage.
Für genügend Marketing konnte sie demnach nicht auf Instagram setzen, sondern vorerst musste eine eigene Webseite her. Diese wurde zuerst in Figma designed und dann online umgesetzt. Hierbei kamen ihr die Fähigkeiten aus dem DMT-Studium zugute. Da „Wilde Wurzeln“ zur Weihnachtszeit erscheinen sollte, nutzte sie vor allem das Offlinemarketing in Form von Weihnachtsmärkten.
Chancen sehen und ergreifen
Bisher läuft es für Luise auch offline sehr gut: Durch gute Kommunikationsskills und ein dadurch immer weiter wachsendes Netzwerk und natürlich durch sehr viel Eigeninitiative. Dieses Jahr trat sie schon zweimal in Kochshows auf Messen auf, bekochte zum dritten Mal Teilnehmerinnen eines Yoga-Retreats auf Rügen und gab bei RadioEins ein Interview. All dies verdankt sie Kontakten, aber vor allem ihrem Sinn für Chancen.
Auf das Yoga-Retreat ist Luise durch Zufall gekommen. Über ein Nachbarschaftsportal wurde eine Küchenhilfe gesucht. Um dem Berliner Winter für ein paar Tage zu entfliehen und Laptop mit Schneidebrettern zu tauschen, meldete sie sich sofort auf die Anzeige. Im ersten Jahr wurde vor allem vegetarisch gekocht und dann Jahr für Jahr etwas mehr veganisiert. Luise erinnert sich: „Im ersten Jahr kochten wir eine aufwändige Mousse au Chocolat, die mehrere Stunden brauchte, im zweiten Jahr dann die schnelle vegane aus Seidentofu.“
Im Frühjahr 2024 kontaktierte Luise die Messeveranstalter*innen der Veggienale und fragte nach einer kostengünstigen Möglichkeit für einen Verkaufsstand. Am Telefon nannte ein Mitarbeiter als lukrativste Lösung Teil des Programms in Form einer Kochshow zu werden. Direkt nach dem Telefonat, rief Luise ihren Vater an und bat um Rat. Dieser fragte nur ob sie kochen könne und auf ihr „Ja!“ folgte ein „Dann kannst du auch eine Kochshow machen.“ Damit war der Koch-Auftritt im April 2024 beschlossene Sache.
„Vor allem gab es immer super viel Support von allen Leuten: Mama, Papa, meiner Familie, meiner WG und meinem Freund. Ohne die wäre das alles nicht gegangen.“
In diesem Jahr gab es für Luise auch eine Premiere. Noah Living buchte sie als Caterer für ihr Launch Event. Hierbei handelte es sich um einen Brunch, der sich um die neuen, farben- und formenfrohen Spiegel der Möbelmarke drehte. Nach dem Briefing kreierte Luise ein Design- und Menukonzept. Jede Farbe wurde durch zwei Gerichte repräsentiert, die Brote in Form der Spiegel gebacken und das gesamte Menü auf Spiegeln serviert. „Die Nacht vorher sind noch so viele Sachen passiert“, erzählt Luise und lacht.
Die Möglichkeit für das Interview mit RadioEins eröffnete sich durch ihren neuen Studiengang an der HNEE – Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. RadioEins sendete einen Tag lang zum Thema Landwirtschaft und unter anderem zu ihrem Studiengang: Ernährungs- und Agrarkultur nachhaltig gestalten (B.Sc.), der liebevoll abgekürzt nur ErnA genannt wird. „Das war sehr gute Werbung, da RadioEins eine sehr große Zielgruppe hat“, erinnert sich Luise.
ERNA und Foodsharing
Im letzten Jahr begann Luise dann ihren zweiten Bachelor. Dieser spricht jetzt direkt ihre Interessen an. Es fällt ihr leichter, weil sie „keine Zweifel hat, da einer [Bachelorabschluss] schon in der Tasche ist.“
Auf die Frage, ob neue Erkenntnisse aus dem Studium zu ihrem Wissen übers Kochen dazugekommen sind, sagt sie: „Ja, extrem“. Nicht nur ihre Art zu kochen hat sich verändern, sondern auch ihr Verhältnis zu Lebensmitteln. Der Anbau der Lebensmittel ist mehr in den Fokus gerückt, aber auch die Biodiversität, die Verwendung von Pestiziden und die Arbeitsverhältnisse beim An- und Abbau von Lebensmitteln. Landwirtschaft ist für sie jetzt noch mehr Teil der Lebensmittel selbst.
Außerdem hat sie sich im Studium weiter mit ausgewogener Ernährung, der Planetary Health Diet und der Eiweißpflanzenstrategie beschäftigt. Zum Beispiel setzt sie beim Kochen noch stärker auf Hülsenfrüchte als vorher. Außerdem hat ihr Studium sie erneut darin bestätigt, dass Regionalität und Saisonalität schon einen großen Beitrag zur nachhaltigen Ernährung ausmachen. Vegane oder vegetarische Ernährung, bio einkaufen und alles andere als Luxusprodukt zu sehen, das ist die Devise. Luise vermutet, dass das derzeitige Studium ihr unter anderem durch die gesammelten Erfahrungen im DMT-Studium leichter falle. Die kreative Arbeit vermisst sie allerdings.
Nachhaltigkeit – das ist das Ziel von Luises Kochen. „Meine Ernährungsreise hat mit 16 begonnen, als Umwelt- und Klimaschutz ein großes Thema für mich geworden ist“, erzählt sie. Erst war sie vegetarisch, hat dann angefangen, für ihre Familie zu kochen, und dann ist sie auf vegan umgestiegen und hat auch ihre Familie mit ihrem Essen überzeugt. Sie wollte immer weiter gehen, etwas Gutes für den Planeten tun. Am Anfang hat sie noch containert, dann aber den legalen Weg über Foodsharing eingeschlagen. Vornehmlich holt sie Essen bei Biomärkten ab, einmal waren es 5 kg Rote Bete und 3 kg Sojajoghurt – da musste sie dann experimentieren. Für sie ist es keine Gewohnheit gezielt für ein Rezept einzukaufen. Viel eher schaut sie, was noch im Haus ist oder saisonal, regional verfügbar ist und kreiert auf dieser Basis ein Gericht.
Frage und Antwort
Was denkst du zum Stereotyp Frau in der Küche?
„Ein-, zweimal hatte ich den Gedanken, ob ich nicht damit das Rollenbild reproduziere, aber ehrlich gesagt: absolut gar nicht. Weil ich nicht koche, um jemand anderem zu gefallen, sondern weil ich es liebe. Ich reduziere mich auch nicht aufs Kochen, also egal in welchem Bereich – ob in einer Partnerschaft oder woanders.“
Ist dein Motto „Saisonal, Regional, Vegan“ gleichgestellt, oder gibt es eine Reihenfolge, welches am wichtigsten ist?
„Es ist regional, saisonal und vegan. Aber vegan steht nicht hinten, weil es weniger wichtig ist. Man beginnt mit regional und saisonal, und dann kommt vegan, weil es für mich so klar ist. Es muss nicht vorne stehen. Es ist mehr ein ‚Achso, vegan, ist ja klar‘-Gedanke.“
Welche Kochbücher und Blogs inspirieren dich?
„Der Kochblog – eat-this.de. Yotam Ottolenghi – Er ist einfach ein Gott (lacht). Wie er mit Gewürzen umgeht.“
Wie viel von dir und deinem Leben steckt in deinen Rezepten?
„Im Kochbuch steckt sehr viel von meinem Leben. Also Leute, die aus dem Süden Deutschlands kommen, schmecken das auch – wie der Vurstsalat und Dampfnudeln. Aber auch von Reisen mit Freunden ist viel drin. Man sieht auch zeitlich, wofür ich mich gerade interessiere – also aktuell Fermentation, Brotbacken oder Gerichte aus dem Schmortopf.“
Catering, Kulinarisches Studio oder doch lieber heimische Küche?
„Wie ich am Anfang schon meinte: In meinen Zwanzigern will ich alles ausprobieren und mich nicht entscheiden. Es ist vielleicht gerade nicht für alles die richtige Zeit, aber ausschließen will ich nichts.“
Was ist dein Lieblingsgemüse?
„Jeden Monat was anderes.“
Lieblingsessen aus dem Kochbuch?
„Vurstsalat – der geht einfach immer. Dann ein Rezept, wo ich besonders den Entstehungsprozess des Gerichts toll finde: Schwarzwurzelragout mit Meeresgnocchi und natürlich die Wirsingpasta.“
Und zuletzt: Welches Rezept hatte noch nicht das Glück, veröffentlicht zu werden?
„Mein Mais-Shakshuka.“
Interview: Carolin Bathe
Bei manchen Menschen fragt man sich, ob ihr Tag mehr Stunden hat als der eigene. Sie schaffen so viel, packen so viel an, haben immer etwas zu tun, immer einen Plan und trotz allem ein ausgeglichenes soziales Umfeld. Wenn man mit Luise Unser redet und ihre Pläne, Konzepte und Ideen hört, hat man genau diese Frage im Kopf. Luises Tag hat auch nur 24 Stunden, und doch studiert sie gerade ihren zweiten Bachelor, hat ein Kochbuch herausgebracht und findet zwischen Catering, Messen, Radio-Interviews und Kochen auf Yoga-Retreats auch noch Zeit, neue Kreationen auszuprobieren und Lebensmittel zu retten.
Kochbuch: „Wilde Wurzeln“
gebundenes Buch mit Hardcover, um deinen Handlungshebel in Zahlen zu sehen, sind alle Gerichte mit ihren CO2 Werten versehen mit Illustrationen von Obst und Gemüse für jeden Monat & einem Saisonkalender (tabellarisch, sowie illustriert) 112 Seiten, in der Berliner Umweltdruckerei gedruckt, Recyclingpapier (ausgezeichnet mit Blauer Engel)
Preis 24,50€
Instagram: @wildeliesee
Webseite: wildeliese.de
RadioEins Beitrag unter:
radioeins.de/programm/sendungen/radiodays/bio-bauern-proteste/beitraege/nachhaltige-ernaehrungs–und-agrarkultur.html
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